STORY Power Generation

Auf dem Weg zum klimaneutralen Rechenzentrum

Veröffentlicht am 21 März 2022 von Silke Rockenstein, Bilder von Rolls-Royce Power Systems, Robert Hack

Sind wir auf dem Weg zu klimaneutralen Rechenzentren? Experten von Rolls-Royce Power Systems geben einen Ausblick.
Der Rechenzentrums-Markt weltweit boomt. Nach den Ergebnissen einer Studie des Borderstep Instituts lag der Energieverbrauch von Rechenzentren allein in der EU im Jahr 2018  bei 76,8 TWh. Die Schätzungen ergeben bis 2030 einen Anstieg um 28 % auf 98,52 TWh. Auf dem Weg zur Klimaneutralität muss auch dieser Strom grün erzeugt werden. Welche Rolle spielen dabei Dieselgeneratoren? Und die Brennstoffzelle? Die Energie-Experten Tobias Bertler (Senior Manager Direct Sales & Business Development APAC), Ryan Murphy (Sales Lead for Data Center Solutions in North America) und Dario Schilling (Senior Manager Direct Sales for Mission Critical Backup Solutions) von Rolls-Royce Power Systems geben einen Ausblick.

Wie wichtig ist Betreibern von Rechenzentren die Nachhaltigkeit, wenn es um die Notstromversorgung geht?

Tobias Bertler: Die Betreiber von Rechenzentren sind sehr an nachhaltigen Notstromlösungen interessiert. Das liegt zum Teil daran, dass der gesamte Markt für Rechenzentren von den großen Technologieunternehmen beherrscht wird, die in der Öffentlichkeit sehr präsent sind und Verantwortung für die Verringerung ihres ökologischen Fußabdrucks empfinden. Dies hat auch die Notstromsysteme für Rechenzentren in den Vordergrund gerückt. Obwohl sie nur wenige Betriebsstunden haben, werden für diese sicherheitskritischen Rechenzentren gigantische Kapazitäten mit einer sehr hohen verfügbaren Leistung gebaut.  

Gibt es immer noch eine große Nachfrage nach Dieselaggregaten von Rechenzentrumsbetreibern?

Tobias Bertler: Definitiv. Heute sind in jedem sicherheitskritischen Rechenzentrum Notstromsysteme eingebaut, die in der Regel mit Dieselkraftstoff betrieben werden. Rolls-Royce Power Systems hat im Laufe der Jahre etwa eine Gesamtkapazität von 5 GWe an Notstromaggregaten in das globale Rechenzentrumsgeschäft geliefert. Die Ausnahmesituation der letzten Jahre durch die COVID-19-Pandemie hat einmal mehr gezeigt, wie wichtig es ist, eine unterbrechungsfreie Stromversorgung für sensible und kritische Infrastrukturen wie den weltweiten kontinuierlichen Internetverkehr sicherzustellen. Das hat sich auch in unserem Geschäft mit Diesel-Notstromsystemen gezeigt. Mit der Übernahme von Kinolt als führendem Unternehmen für dynamische USV-Systeme haben wir unser Angebot an Stromversorgungssystemen für sicherheitskritische Anwendungen weiter ausgebaut. Dieselaggregate bieten derzeit die höchste Sicherheit und die kohärentesten technischen Eigenschaften für Notstrom-Energiesysteme.

Dieselaggregate bieten derzeit die höchste Sicherheit und die stimmigsten technischen Eigenschaften für sicherheitskritische Notstromanlagen.

Tobias Bertler, Senior Manager Direct Sales & Business Development APAC at Rolls-Royce Power Systems
Tobias Bertler, Senior Manager Direct Sales & Business Development APAC at Rolls-Royce Power Systems

Wie können Sie die Emissionen Ihrer Dieselgeneratoren reduzieren?

Tobias Bertler: Wir haben verschiedene Möglichkeiten, die Emissionen von Dieselaggregaten zu reduzieren: Wir arbeiten weiter an der Verringerung der Abgas-Emissionen durch innermotorische Maßnahmen und wir bieten Abgasnachbehandlungssysteme an. Wir bieten unterschiedliche, flexible und projektspezifische Lösungen für den sehr heterogenen Markt, in dem es je nach Region unterschiedliche Richtlinien und Gesetze gibt.

Was können Sie über den nordamerikanischen Markt für Rechenzentren sagen?

Ryan Murphy: Der nordamerikanische Markt für Rechenzentren wächst weiterhin exponentiell, mit einer CAGR (durchschnittliche jährliche Wachstumsrate) von über 35 %, und es wird erwartet, dass er bis 2027 mehr als 90 Mrd. USD betragen wird. Dieses Wachstum wird durch die Dominanz von Hyperscale-Rechenzentrumskunden angeführt, sowohl durch deren eigenen Bau als auch durch Rekordmietverträge mit Colocation-Anbietern. Der Markt hat sich stark konsolidiert, da die Akteure immer größer und anspruchsvoller werden. Diese Kunden verlangen nicht nur eine höhere Qualität und Zuverlässigkeit ihrer Produkte, sondern auch umweltfreundlichere Lösungen wie HVO-Kraftstoff, Abgasnachbehandlung, Batteriespeicher und Wasserstoff.    

Welche Entwicklung erwarten Sie für den europäischen Markt?  

Dario Schilling: In unseren europäischen Märkten sehen wir mit einem zweistelligen prozentualem Wachstum weiterhin eine dynamische Entwicklung und die Nachfrage nach neuen nachhaltigen Energielösungen. Die zunehmende Digitalisierung unseres Lebens und die verstärkte Datennachfrage in Verbindung mit der neuesten 5G-Technologie werden auch weiterhin den Gesamtbedarf an neuen Rechenzentrumskapazitäten bestimmen. Weitere behördliche Vorschriften und Überlegungen zu einer nachhaltigeren Energieversorgung beeinflussen die technologische Entwicklung unserer robusten Diesel-Backup-Stromversorgungslösung auf kurze Sicht und eine langfristige Verlagerung zu anderen möglichen Lösungen wie unseren Gasgeneratoren, Wasserstoff-Brennstoffzellen und intelligenten kleinen Energienetzen. Die größte Herausforderung für uns besteht darin, sowohl die Anforderungen an eine schnelle Bereitstellung zukünftiger Rechenzentrumskapazitäten zu erfüllen als auch an der technologischen Umstellung auf nachhaltigere Lösungen zu arbeiten.

Welche Alternativen zur Notstromversorgung von Rechenzentren sehen Sie auf dem Weg zur Klimaneutralität?

Tobias Bertler: Wir sehen es als wichtig an, erneuerbare Energien und Power-to-X-Technologien auszubauen, alternative Kraftstoffe verfügbar zu machen, Verbrennungsmotoren für alternative Kraftstoffe vorzubereiten und alternative Energie- und Antriebssysteme zu entwickeln. Großes Potenzial sehen wir in Wasserstoff als Kraftstoff. Auch die zahlreichen Initiativen verschiedener Länder zum weiteren Ausbau der Infrastruktur sind ermutigend.

Welche nachhaltigen Lösungen wird Rolls-Royce Power Systems auf den Markt bringen?

Ryan Murphy: Rolls-Royce Power Systems unternimmt mit dem eigenen Nachhaltigkeitsprogramm "Net Zero at Power Systems" konkrete Schritte in Richtung klimaneutraler Lösungen. Damit hat sich der Rolls-Royce Geschäftsbereich Power Systems das Ziel gesetzt, bis 2030 durch neue Technologien 35 Prozent der Treibhausgas-Emissionen im Vergleich zu 2019 einzusparen. Dieses kurzfristige Ziel spielt eine wichtige Rolle bei dem Bestreben der Rolls-Royce Gruppe, bis spätestens 2050 Klimaneutralität zu erreichen. Neben neuen Technologien ist ein Schlüsselelement zur Erreichung dieser Ziele die Freigabe wichtiger mtu-Motorenprodukte für den Betrieb mit nachhaltigen EN 15940-Kraftstoffen wie E-Diesel und Biokraftstoffen der zweiten Generation bereits im Jahr 2023.


Wir entwickeln unser mtu-Gasmotorenportfolio für die Stromerzeugung und Kraft-Wärme-Kopplung so weiter, dass es mit Wasserstoff als Kraftstoff betrieben werden kann und somit eine klimaneutrale Energieversorgung ermöglicht. Bereits heute können Aggregate mit mtu-Gasmotoren der Baureihen 500 und 4000 mit einer Gasbeimischung von 10 Prozent Wasserstoff betrieben werden. Demnächst wird ein Betrieb mit einem Wasserstoffanteil von 25 Prozent möglich sein. Nach intensiven Tests auf Prüfständen und Pilotinstallationen bei Kunden wird Rolls-Royce ab 2023 kontinuierlich neue mtu-Gasmotoren der Serien 500 und 4000 für den Betrieb mit bis zu 100 Prozent Wasserstoff auf den Markt bringen, sowie auftragsbezogen Umrüstsätze, um bereits installierte Gasmotoren im Feld mit 100 Prozent Wasserstoff betreiben zu können.  

Energieversorgung mit Brennstoffzellen: Rolls-Royce Power Systems testet derzeit am Hauptsitz in Friedrichshafen/Deutschland eine nachhaltige und klimafreundliche Stromversorgung auf Basis von Brennstoffzellen.

Rolls-Royce wird komplette mtu-Wasserstoff-Brennstoffzellenlösungen auf der Basis von cellcentric-Brennstoffzellenmodulen entwickeln, die nichts anderes als Wasserdampf emittieren. Dies wird eine CO2-freie Erzeugung von Notstrom für Rechenzentren und viele andere kritische Anwendungen ermöglichen. Wir haben 2021 einen Brennstoffzellen-Demonstrator in Betrieb genommen und planen, 2022 eine weitere Demonstrationsanlage im Megawattbereich in Betrieb zu nehmen. Die ersten Pilotanlagen bei Kunden werden 2023 installiert, und Rolls-Royce wird 2025 Brennstoffzellensysteme für die Serienproduktion einführen.

Wie können Brennstoffzellen in Rechenzentren eingesetzt werden?  

Ryan Murphy: Starke Argumente für den Einsatz und die Förderung der Brennstoffzellentechnologie für Rechenzentren sind die hohe Zuverlässigkeit, die Skalierbarkeit und die Fähigkeit, sowohl Schadstoff- als auch klimaschädliche Emissionen auf Null zu reduzieren. Mit ihrem modularen Aufbau sind Brennstoffzellensysteme leicht anpassbar, um die Leistung an den Bedarf anzupassen, und ihr geringer Wartungsbedarf und ihre niedrigen Betriebskosten machen sie ebenfalls attraktiv. Der größte Pluspunkt ergibt sich, wenn als Brennstoff regenerativ erzeugter Wasserstoff eingesetzt wird, denn damit lassen sich sowohl die Schadstoff- als auch die klimaschädlichen Emissionen auf Null reduzieren. Brennstoffzellensysteme lassen sich auch zu einem späteren Zeitpunkt problemlos integrieren und erweitern, wenn ein Rechenzentrum expandiert wird. Das macht Brennstoffzellensysteme zu einer langfristigen und zukunftssicheren Investition.

Brennstoffzellen können eine zentrale Rolle für CO2-freie Rechenzentren spielen (siehe Grafik). Der Grundbedarf an Strom für ein Rechenzentrum könnte in Zukunft durch Solar- und Windkraftanlagen gedeckt werden, statt wie bisher aus dem öffentlichen Stromnetz. Steht ausreichend "grüner" Strom zur Verfügung, kann Wasserstoff durch Elektrolyse aus Wasser hergestellt und vor Ort gespeichert werden. Darüber hinaus kann der Wasserstoffbedarf durch ein zukünftig verfügbares Versorgungsnetz gedeckt werden, das für den Betrieb der Brennstoffzelle genutzt wird: Es würde sofort die Versorgung des Rechenzentrums übernehmen, um bei einem Stromausfall die Infrastruktur aufrechtzuerhalten.

Für eine CO2-neutrale Stromversorgung strebt Rolls-Royce Power Systems zukünftig an, eine integrierte komplette Notstromlösung anzubieten. Dazu gehören das Brennstoffzellensystem, ein UPS-System, die Batterien sowie die Wasserstoffinfrastruktur.

Ist die Verwendung von synthetischen Kraftstoffen gemäß EN 15940 für den Antrieb von mtu-Aggregaten zugelassen?

Tobias Bertler: Für die synthetischen Kraftstoffe nach EN 15940 haben wir in den letzten Jahren umfangreiche Tests auf dem Prüfstand und auch im Feld durchgeführt und GtL und HVO bereits für unsere Powergen-Motoren der Serie 4000 G03/04 freigegeben. Die synthetischen EN 15940-Kraftstoffe GtL (Gas-to-Liquid) und HVO (Hydrotreated Vegetable Oil), die nach dem Fischer-Tropsch-Verfahren hergestellt werden, sind in ihren Eigenschaften dem Diesel sehr ähnlich. Sie bieten auch einige Vorteile, wie z. B. die Lagerstabilität, die im Vergleich zu herkömmlichem Diesel wesentlich besser ist (insbesondere bei höherem Bioanteil). HVO wird weitgehend aus biologischen Rohstoffen hergestellt und kann CO2-neutral produziert werden.

Wie sieht es mit Biodiesel aus - ist er angesichts des sporadischen Einsatzes von Aggregaten, die nur als Notstromaggregate verwendet werden, ein brauchbarer Kraftstoff?

Tobias Bertler: Biodiesel hat einen höheren Bio- und Wasseranteil und ist daher schlechter lagerfähig als herkömmlicher Diesel. Biodiesel ist anfälliger für Alterung durch Mikroorganismen im Kraftstoff und kann sogar umkippen. Dies wird als "Dieselpest" bezeichnet, bei der sich im Kraftstoff ein Bioschlamm bildet, der Fehlfunktionen und Schäden an Geräten verursachen kann. Da der Kraftstoff in Notstromanlagen oft über längere Zeiträume gelagert wird, sehen wir diesen Kraftstoff für diesen Bereich eher kritisch. Wir halten andere alternative Kraftstoffe, wie die synthetische EN 15940 und E-Fuels, für diesen Zweck für besser geeignet. Dennoch haben wir eine Beimischung von 7 % Biodiesel, wie sie heute in Kraftstoffen nach EN590 üblich ist, ohne weitere Maßnahmen zugelassen. Bei einer Beimischung von bis zu 20% Biodiesel empfehlen wir verschiedene Begleitmaßnahmen wie Additive, ein Tankpflegesystem oder eine Motorspülung.

Ist es möglich, Notstromaggregate in Rechenzentren als Regelreserve an das Netz anzuschließen und so den Ausbau der erneuerbaren Energien zu unterstützen?

Ryan Murphy: Auf jeden Fall! Notstromaggregate bieten hervorragende Voraussetzungen, um Regelenergie in das Stromnetz einzuspeisen und damit Netzschwankungen (Frequenz und Spannung) auszugleichen, die durch die verstärkte Integration erneuerbarer Energien entstehen. Die Aggregate können somit eine wichtige Rolle bei der Unterstützung der Energiewende (und der Integration der erneuerbaren Energien) spielen. Zu diesem Zweck gibt es in verschiedenen Ländern verschiedene Kapazitätsmärkte, an denen man sich beteiligen und eine weitere Einnahmequelle schaffen kann. Rolls-Royce Power Systems hat seit vielen Jahren Kooperationsvereinbarungen mit verschiedenen nationalen und internationalen Unternehmen, die es ermöglichen, unsere Aggregate in die jeweiligen Kapazitätsmärkte zu integrieren.

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