STORY Power Generation

Die erfundene Stadt

Veröffentlicht am 31 März 2015 von Anne-Katrin Wehrmann, Bilder von Andreas Burmann

Die Stadt Norderstedt setzt bei der Wärmeversorgung ihrer Einwohner auf Fernwärme.
Norderstedt, Germany

Die Stadt Norderstedt setzt bei der Wärmeversorgung ihrer Einwohner auf Fernwärme und sieht den Ausbau der dezentralen Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) als Beitrag zur Energiewende. Insgesamt neun Blockheizkraftwerke (BHKW) sind schon in Betrieb. Der jüngste Neuzugang in der kommunalen Kraftwerksflotte: ein BHKW von mtu Onsite Energy.

Diese Geschichte beginnt vor gut 35 Jahren. Es ist der 1. Januar 1970, als wenige Kilometer nördlich von Hamburg die Stadt Norderstedt offiziell aus der Taufe gehoben wird (s. Info-Kasten) – als Zusammenschluss der Gemeinden Friedrichsgabe, Garstedt, Harksheide und Glashütte. Was fehlt, ist eine geografische Verbindung zwischen den vier Stadtteilen, ein echtes Zentrum. In den darauffolgenden Jahren stellen die Stadtväter Planungen für den Bau eines neuen Stadtteils Norderstedt-Mitte auf, die ab 1978 auf der bis dahin sprichwörtlichen grünen Wiese umgesetzt werden. Unter anderem entstehen im Laufe der Zeit in zentraler Lage rund 4.100 Wohnungen für 12.000 Einwohner, die allesamt mit Energie versorgt werden wollen. Mittendrin: die Stadtwerke Norderstedt, die 1983 ihr ebenfalls in der neuen Mitte errichtetes Hauptgebäude beziehen. Die Verantwortlichen treffen die zukunftsweisende Entscheidung, Norderstedt-Mitte mit Fernwärme zu versorgen und lassen im Gebäude der Stadtwerke das zu diesem Zeitpunkt größte BHKW Deutschlands installieren.

Nico Schellmann übernimmt die Planung für alle Blockheizkraftwerke. Bis 2020 sollen 25 bis 30 Prozent des städtischen Strombedarfs mit Blockheizkraftwerken abgedeckt werden. Heute sind es bereits 20 Prozent.

Die Ursprungsmotoren von damals gibt es heute nicht mehr, aber ein BHKW befindet sich noch immer in dem funktionalen Klinkerbau im Stadtzentrum. In den 1980er-Jahren stellte sich heraus, dass ein verstärkter Fernwärmeausbau zunächst nicht wirtschaftlich umzusetzen war: Ein nationales Energiekonzept gab es noch nicht, während zeitweise sinkende Öl- und Gaspreise das konventionelle Heizen attraktiver machten. Erst in den 1990er-Jahren erlebte Norderstedt durch einen verstärkten Ausbau der Wohnquartiere eine Renaissance der Fernwärme. Durch die Energiewende bekommt die Kraft-Wärme-Kopplung nun seit einiger Zeit noch einmal neuen Auftrieb, denn künftig muss immer mehr Strom als Sekundärenergie dezentral erzeugt werden, um den Transport über größere Entfernungen möglichst zu vermeiden und das Netz zu entlasten. Zugleich ist perspektivisch mit Preissteigerungen bei den fossilen Energieträgern zu rechnen, da das globale Öl- und Gasfördermaximum in einigen Jahren erreicht sein wird. In diesen Zeiten werde die KWK „zu einem Universalinstrument der flexiblen Energieerzeugung“, heißt es dazu im aktuellen Energiehandbuch Norderstedts. Mittlerweile haben die Stadtwerke quer über das Stadtgebiet verteilt neun BHKW mit einer elektrischen Gesamtleistung von gut zwölf Megawatt und einer thermischen Leistung von knapp 12,5 Megawatt in Betrieb: Damit können rund 20 Prozent des örtlichen Strombedarfes gedeckt werden

Das BHKW von mtu Onsite Energy mit einem Gasmotor der Baureihe 4000 erzeugt knapp zwei Megawatt elektrische Energie und gut 2,1 Megawatt thermische Energie.

BHKW versorgt neues Wohnquartier


Szenenwechsel. Ein paar Kilometer entfernt von der Stadtmitte, im südlichen Bereich des Friedrichsgaber Wegs. Östlich von der Straße befindet sich ein kleines Gewerbemischgebiet, im westlichen Bereich sind ausgedehnte landwirtschaftliche Nutzflächen und Pferdekoppeln zu sehen. Genau hier steht nun ein BHKW von mtu Onsite Energy. „Die Metropole nebenan und die Landschaft vor der Haustür“, so lautet eine Überschrift in der Broschüre „Eine Mitte für die Stadt“. Sie bringt gut auf den Punkt, wie man sich Norderstedt vorstellen kann: Nur 41 Minuten dauert es mit der U-Bahn von Norderstedt-Mitte bis zum Hamburger Hauptbahnhof, doch trotz der Lage inmitten der Metropolregion besteht – bedingt durch die ungewöhnliche Entstehungsgeschichte – ein guter Teil des Stadtgebiets noch immer aus Grünflächen und offener Landschaft. Auf einer dieser bislang ungenutzten Flächen in unmittelbarer Nähe zum Friedrichsgaber Weg entsteht derzeit ein neues Wohnquartier. Der abzusehende Energiebedarf im Viertel veranlasste die Stadtwerke, an dieser Stelle eine weitere KWK-Anlage zu installieren. 

Stadtwerke-Mitarbeiter Rüdiger Hack im Betriebsraum des Blockheizkraftwerkes. Er schaut täglich bei den Blockheizkraftwerken nach dem Rechten.

Das BHKW von mtu Onsite Energy mit einem Gasmotor der Baureihe 4000 erzeugt knapp zwei Megawatt elektrische Energie und gut 2,1 Megawatt thermische Energie, wobei ein Gesamtwirkungsgrad von 87,9 Prozent erreicht wird. „Als die Strompreise noch höher waren, lag unser Fokus eher auf der Stromerzeugung“, sagt Nico Schellmann, Leiter der Planungsabteilung bei den Stadtwerken. „Aufgrund der gesunkenen Strompreise sind elektrische und thermische Energie jetzt gleichwertig, darum sind hohe Gesamtwirkungsgrade für uns einfach wichtig.“ Während der erzeugte Strom ins öffentliche Netz fließt und sich nicht sagen lässt, wo genau er letztlich verbraucht wird, bleibt die Wärme im Quartier und versorgt die über Rohrleitungen angeschlossenen Haushalte. Da der Wärmetransport über größere Entfernungen aufwendig und teuer ist, arbeiten die Stadtwerke mit lokalen Insellösungen: Jedes BHKW fungiert als eigenständige „KWK-Insel“, die jeweils die Wärmeversorgung in ihrem direkten Umfeld sicherstellt. Eine Vernetzung einzelner Leitungssysteme findet nur dann statt, wenn es zwischen den jeweiligen Kraftwerken genügend Verbraucher gibt und sich ein solcher Zusammenschluss rechnet.

Auch im Herold Center, dem Einkaufszentrum der Stadt, wird die elektrische Energie genutzt.

Beitrag zur Energiewende „Für uns sind die Blockheizkraftwerke eine gute Möglichkeit, hier in Norderstedt eine Wertschöpfung zu erzielen, die über den normalen Vertrieb von Energie hinausgeht“, erläutert Schellmann. Das sei für die Stadtwerke durchaus lukrativ und zudem mit einer langfristigen Kundenbindung verbunden. Darüber hinaus sei dies ein Beitrag zur Energiewende. „Wir sind der Meinung, dass wir aktiv zum Wandel des Energiesystems beitragen müssen, und aus unserer Sicht steht da im städtischen Bereich derzeit im Wesentlichen die Kraft-Wärme-Kopplung zur Verfügung.“ Bei der Energiewende liege der Fokus noch stark auf der Stromversorgung: In Norderstedt werde dagegen gleichzeitig Strom und Wärme erzeugt, wodurch der Gesamtwirkungsgrad gesteigert werde. Hinzugekommen sei noch der Aspekt der Regelenergie – also jener Stromreserve, die die Übertragungsnetzbetreiber für Zeiten benötigen, in denen die Nachfrage höher ist als das Angebot. „Wir können die volatilen erneuerbaren Energien durch schnell regelbare BHKW ergänzen, und das tun wir mit unseres Anlagen auch schon“, sagt Schellmann.

Das eingesetzte mtu Onsite Energy-BHKW wird den Energiebedarf des neuen Wohnviertels komplett abdecken.

Jenseits von solchen übergeordneten Überlegungen haben auch die Einwohner Norderstedts ganz konkrete Vorteile vom Ausbau der BHKW-Flotte: So müssen sie keine Ölkessel oder Gasthermen mehr vorhalten und bekommen ein kostengünstiges „Rund-um-sorglos-Paket“ zur Verfügung gestellt. Zudem ist die Versorgungssicherheit höher, weil die Stadtwerke für den Fall der Fälle nach wie vor auch konventionelle Kesselanlagen bereithalten. Bis 2020 will der lokale Versorger noch fünf weitere BHKW in den Randbereichen des Stadtgebiets installieren, die dann zusammen mit den schon vorhandenen über eine elektrische Gesamtleistung von gut 21 Megawatt und eine thermische Leistung von knapp 21,7 Megawatt verfügen werden und 25 bis 30 Prozent des städtischen Strombedarfes decken sollen. Gut möglich also, dass in den kommenden Jahren auch mtu Onsite Energy noch das eine oder andere Mal zum Zug kommen wird.

Die "erfundene" Stadt

Die Gründung Norderstedts hatte sich in den Jahren zuvor schon angekündigt. Nach dem Zweiten Weltkrieg siedelten sich in den Grenzgebieten deutscher Großstädte viele Flüchtlinge, Ausgebombte und Vertriebene an: so auch in den Gemeinden nördlich von Hamburg. „Gebaut wird meist entlang vorhandener Wege, oder wo gerade ein günstiges Landangebot vorliegt“, steht über diese Zeit in der Norderstedter Broschüre „Eine Mitte für die Stadt“ geschrieben. „Zersiedlung der Landschaft und weite Wege für die Bewohner sind die Folge.“ Mit Beginn der 1960er-Jahre wurde deutlich, dass eine geordnete städtebauliche Entwicklung nur möglich sein würde, wenn sich die vier Gemeinden Friedrichsgabe, Garstedt, Harksheide und Glashütte zusammenschließen, was 1970 schließlich auch geschah. Die neue Stadt Norderstedt wurde auf Anhieb zur fünftgrößten Stadt Schleswig-Holsteins und hat heute gut 75.000 Einwohner.

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