STORY Kommerzielle Schifffahrt

Die Wartung kann warten

Veröffentlicht am 26 August 2022 von Kathrin Drinkuth

Bis zu 90.000 Stunden – oder 25 Jahre – können Schlepper und Fähren ihre Motoren fahren, bis diese grundüberholt werden müssen. Das spart Geld, Zeit und Ressourcen.
Damit ein Motor möglichst lange hält, braucht er intensive Wartung. Besonders aufwändig ist die Grundüberholung, die meistens etwa zur Hälfte der erwarteten Lebensdauer ansteht. Bis einige der mtu-Schiffsmotoren der Baureihe 4000 wirklich „dran“ sind, können sich Kunden künftig deutlich mehr Zeit lassen, denn das Rolls-Royce-Service-Team hat die Zeiten zwischen den Grundüberholungen extrem verlängert. In einigen Fällen braucht es überhaupt keine Grundüberholung mehr. Das spart Geld, Zeit und Ressourcen– und vermeidet CO2-Emissionen.  


Den Motor einer Fähre oder eines Schleppers zu warten, kann – je nach anstehender Aufgabe – sehr schnell sehr aufwändig werden: Bei den Grundüberholungen muss bei einigen Schiffen sogar der Rumpf aufgeschnitten werden, um die Motoren herauszuholen. Für den Betreiber bedeutet das zum einen hohe Kosten und zum anderen Einnahmeverluste durch eine Stillstandzeit von bis zu drei Wochen. Genau an dieser Stelle hat Rolls-Royce nun angesetzt – und in einem zweijährigen Projekt große Datenmengen analysiert, um die Lebensdauer seiner mtu-Motoren für kommerzielle Schiffe noch genauer bestimmen zu können. Das Ergebnis: Die Zeiten zwischen den

Hauptüberholungen – auch als TBO (englisch für Time Between Overhaul) bezeichnet – sind jetzt deutlich länger – teilweise sogar doppelt so lang wie bisher. „Das können wir mit etwas Stolz als Meilenstein bezeichnen“, sagt Andreas Müller-Hirlinger vom Team Sales Commercial Marine.  

Stolz auf den Meilenstein: Christiane Kleck, Senior Manager Marine Service Sales, und Andreas Müller-Hirlinger vom Team Sales Commercial Marine.

Intensive Datenanalyse liegt der TBO-Erweiterung zugrunde

Doch vor diesem Meilenstein lag jede Menge Detektivarbeit: Das Service-Engineering-Team von Rolls-Royce hat mehr als 50.000 Datensätze gesammelt, die Information zu den unterschiedlichen Lastprofilen der Motoren lieferten. Diese hat das Team in einer sogenannten „Big Data Analyse“ über einen aufwändig ausgearbeiteten Algorithmus analysiert und ausgewertet. „So hat unsere Service-Engineering-Team um Jens Schneemann die individuelle Auslastung der gefahrenen Motoren dezidierter berechnet und untersucht, welche Motorkomponenten auf welche Weise abgenutzt werden“, sagt Müller-Hirlinger.   „Auf Grundlage dieser Information haben wir viel genauere Voraussagen darüber getroffen, wie lange der Motor schlussendlich länger laufen kann und wann welche Wartungen anstehen.“    

Denn bislang wurde die Lebensdauer eines Motors danach ausgelegt, wie lange er unter Volllast durchhalten kann. Die Datensätze haben allerdings gezeigt, dass die Mehrheit der Motoren gar nicht bis zum Anschlag belastet werden. Dadurch konnte die Gesamtlebenszeit deutlich erhöht werden. „Wenn der Motor nicht mit Volllast betrieben wird, hält er natürlich auch viel länger“, sagt Müller-Hirlinger. Zudem hat das Service-Engineering-Team die Komponenten des Motors identifiziert, die die Länge der TBO definieren. „Das Team waren uns schnell einig, dass es das Kurbelgehäuse und die Kurbelwelle sind. Wenn die beiden verschlissen sind, haben wir eigentlich keine Chance, den Motor im Schiff zu warten, dann muss er raus.“ Aufgrund der neuen Erkenntnisse hat das Team die Standzeiten der beiden entsprechenden Komponenten auf bis zu 90.000 Stunden festgelegt. „Vorher müssen wir den Motor nicht herausnehmen. Alles andere können wir im Schiff warten.“

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Weniger Wartungen und längere Intervalle zwischen den Überholungen

Die Auswertungen validierte das Team, indem es alte Motoren mit hoher Betriebsstundenanzahl zurückkaufte. „Die Kollegen haben mit den Komponenten intensive Befunde durchgeführt und ihren Verschleiß gemessen. Das hat alles zu einem viel schärferen Bild geführt, was wir unseren Motoren zutrauen können“, sagt Christiane Kleck, Senior Manager Marine Service Sales. In einem weiteren Schritt hat das Team ein TBO-Berechnungsmodell entwickelt. Diese doppelte Vorgehensweise garantiert auch die Verlässlichkeit der neuen Intervalle: Sie wurden nicht nur über das neue Rechenmodell bestimmt, sondern auch an realen Motoren im Feld validiert. „Das heißt, der Nachweis wurde erbracht“, sagt Müller-Hirlinger.

Anschließend hat das Rolls-Royce-Service-Engineering-Team den Wartungsplan für die Motoren entsprechend angepasst und zugleich auch harmonisiert, damit möglichst viele Komponenten zeitgleich gewartet werden können. Dadurch nimmt wiederum die Häufigkeit der Überholungen ab. „Wichtig war für uns aber auch: Wir wollen nicht die Zuverlässigkeit unserer Motoren gefährden“, sagt Kleck. „Es ist immer noch unsere primäre Strategie, präventiv zu warten und nicht erst, wenn etwas kaputt geht.“

Welche Vorteile bringt die TBO-Erweiterung für den Kunden?

Für den Kunden bedeutet die TBO-Erweiterung vor allem eine massive Kostenersparnis, weil er sich über die Nutzungsdauer des Motors bis zu einer Grundüberholung spart. Zum anderen minimiert sich durch den Wegfall einer Grundüberholung der Organisations- und Kostenaufwand, und der Schiffsbetreiber hat dadurch weniger oder keine Stillstandzeiten. „Im Optimalfall läuft ein optimierter Schleppschiff-Motor 54.000 Stunden. Einem Schleppschiff wird eine durchschnittliche Lebensdauer von 25 Jahren zugeschrieben. Ein Schlepper erspart sich also eine große Wartung während seiner gesamten Lebensdauer – das ist enorm, wenn man bedenkt, was es teilweise bedeutet, den Motor eines Schleppschiffs zu warten“, sagt Kleck. „Im schlimmsten Fall muss der Rumpf aufgeschnitten und wieder verschweißt werden. Durch die Optimierung der Motordatenauswertung und der daraus resultierenden deutlich verbesserten Wartungspläne und -intervalle ersparen wir dem Schiffsbetreiber hohe Kosten.“


„Als Reeder ist es wichtig, dass wir die TCO unserer Motoren genau kennen“, sagt beispielsweise der Technische Leiter der dänischen Schlepper-Reederei Svitzer, Lars Peter Mortensen. „Mit der verlängerten TBO scheint es, dass die erwarteten Wartungsarbeiten und -kosten erheblich reduziert werden und einige größere Arbeiten während der Lebensdauer unserer Flotte aufgrund unserer jährlich niedrigen Betriebsstunden und Motorlast nicht geplant werden muss.“ Bei der Bestellung neuer Schiffe und der Lieferung von Motoren habe das TBO-Profil der Motorenhersteller durchaus Einfluss auf die Entscheidungsfindung. „Und mit einer länger erwarteten TBO – und damit einhergehenden Reduzierung der TCO (den Gesamtkosten des Betriebs) wird Rolls Royce Power Systems für zukünftige Bestellungen attraktiver.“

Ebenfalls ein Plus: Durch die längeren TBOs werden weniger Ersatzteile und Motoren produziert und über weite Strecken transportiert. Damit reduzieren sich CO2 Emissionen, was dazu beiträgt, die Umwelt zu schonen.

Verlängerte Intervalle sollen auch auf andere Motoren ausgeweitet werden

Bislang gelten die neuen TBOs bei Motoren der Baureihe 4000 etwa für Fähren, Schlepper und Yachten. „Unser Service-Engineering-Team wird aber sukzessive auch andere Baureihen durchgehen“, sagt Kleck. Es gibt schon Bewegung im Industriebereich, beispielsweise für Muldenkipper und Bagger. Auch die mtu-Baureihen 2000 werden die Kollegen angehen.