STORY Kommerzielle Schifffahrt

Themsen-Taxi

Veröffentlicht am 01 August 2014 von Marcel Rothmund, Bilder von Robert Hack

Wie Taxen fahren die Fähren auf der Londoner Themse durch die Stadt. Ihren Antrieb bekommen sie von mtu-Reman-Motoren.
London, England

In 25 Minuten vom Big Ben zum Londoner Tower und weiter zur O2-Arena. Für Touristen gibt es auf der Themse keine schnellere und schönere Verbindung zu Londons Sehenswürdigkeiten als die Hochgeschwindigkeits-Katamarane von Thames Clippers. Jährlich nutzen über 3,5 Millionen Touristen und Pendler die „Wassertaxis“, von denen sechs mit mtu-Reman-Motoren fahren.  

„Auf der Themse fahren wir Engländer ausnahmsweise rechts“, sagt Sean Collins, Geschäftsführer von Thames Clippers, und lacht. Er steht bei leicht bewölktem Himmel im halb überdachten Heck der Monsoon und beobachtet die vorbeifahrenden Schiffe. Seine Stimme wird vom Brummen der Schiffsmotoren teilweise übertönt. Die Monsoon ist einer von zwölf Katamaranen der Reederei Thames Clippers aus London. Sechs davon fahren mit mtu-Reman-Motoren der Baureihe 2000. Das sind keine neuen, sondern grunderneuerte Motoren, die mtu für ein zweites Leben flottgemacht hat.

Auf der Route RB 1 fahren die Katamarane von Thamse-Clippers die Touristen zu den Sehenswürdigkeiten Londons wie das Riesenrad London Eye.

Auf den Sitzen im Heck hat es sich ein Mann mit Glatze und Feinstrickpulli bequem gemacht. In der einen Hand hält er eine Flasche Peroni-Bier, die andere Hand hat er um die Schulter seiner Frau gelegt. Daneben steht eine junge Asiatin mit rosa Schildmütze. Mit ihrem Smartphone filmt sie den altehrwürdigen Tower von London am linken Ufer – eine Festung, die jahrhundertelang der Sitz der englischen Könige war. Heute befinden sich hinter den dicken Mauern die Kronjuwelen der Königsfamilie. „Auf unseren Schiffen fährt jeder mit – Touristen, Pendler und Londoner“, sagt Sean Collins. Seit 15 Jahren sind die Katamarane seiner Reederei auf der Londoner Themse unterwegs. Besonders im Sommer seien die Schiffe voll von Touristen. „Viele Passagiere nutzen unsere Schiffe wie Taxis, um zu den einzelnen Sehenswürdigkeiten an der Themse zu gelangen“, berichtet er. Die Asiatin neben ihm schwenkt ihr Handy nun zum rechten Flussufer, wo das Londoner Rathaus, die City Hall, steht – ein moderner eierförmiger Glasbau. Als die Monsoon kurz danach unter der Tower Bridge durchfährt, holen auch die anderen Fahrgäste ihr Handy raus und schießen Erinnerungsfotos. Schließlich ist die monumentale Klappbrücke das Wahrzeichen von London, wie der Eiffelturm von Paris.

Sean Collins, Geschäftsführer von Thames Clippers, fährt auf einem seiner Katamarane. Im Interview spricht er über die Vorteile der Reman-Motoren in seinen Schiffen.

„Die Reman-Motoren waren eine perfekte Lösung“


Nach der Brücke legt das Wassertaxi deutlich an Geschwindigkeit zu. Das braune Wasser der Themse verwandelt sich an den beiden Enden des Katamarans zu schäumender Gischt. Die Monsoon und ihre fünf Schwesterschiffe sind je 38 Meter lang und fahren seit 2008 auf der Themse, mit Platz für jeweils 220 Passagiere. Sie alle sind mit je zwei mtu-Motoren ausgerüstet – zuerst mit fabrikneuen, jetzt mit Reman-Motoren. Das sind mtu-Motoren, die nach 12.000 Betriebsstunden für ein weiteres Motorenleben grunderneuert wurden. „Das Reman-Prinzip von mtu ist die perfekte Lösung für uns“, sagt Sean Collins. „mtu liefert uns einen Reman-Motor an, wir bauen den alten aus und den quasi neuen ein. Den alten bekommt mtu zurück und bereitet ihn wieder auf“, erzählt er weiter. Hätte die Reederei die ersten mtu-Motoren klassisch überholen lassen, wären ein paar Wochen vergangen und allle Schiffe stillgestanden. Denn sie sind damals zusammen in Betrieb gegangen. Außerdem sind die Reman-Motoren kostengünstiger als neue Motoren. „Die alten Motoren haben unsere Monteure innerhalb eines Tages gegen die neuen Reman-Motoren ausgetauscht“, erzählt Sean Collins begeistert. Dadurch hat die Reederei die Stillstandzeit der Katamarane auf ein Minimum reduziert. Bisher hat Thames Clippers schon über 20 Reman-Motoren gekauft, denn manche Schiffe fahren bereits mit den zweiten Reman-Motoren.

Zwölf Katamarane der Reederei Thames Clippers sind das ganze Jahr über auf der Themse unterwegs. Für Touristen und Pendler sind sie ideal als Wassertaxi.

Zwischenstopp North Greenwich


Während Sean Collins von den Reman-Motoren erzählt, taucht am Flussufer die O2-Arena auf. Mittlerweile sitzen im Heck zehn Schüler mit blauen Schildmützen von einer Grundschule aus Devon. Die Lehrerin zeigt mit dem Finger in Richtung O2-Arena und erklärt den Schülern, was sie sehen. Dieser weltgrößte Kuppelbau mit 365 Metern Durchmesser und 52 Metern Höhe wurde im Jahr 1999 eröffnet und dient heute als Sport-arena oder Konzerthalle. Bekannt ist der riesige Bau durch den James-Bond-Film „Die Welt ist nicht genug“. Im Film endet eine abenteuerliche Verfolgungsjagd in Schnellbooten auf der Themse vor der O2-Arena. Nicht weit entfernt von der O2-Arena legt der Katamaran am Pier North Greenwich an. Hier ist die Endstation der Route RB 1 und die Crew nutzt die längere Anlegezeit, um das Schiff mit frischem Wasser zu versorgen und ein bisschen zu putzen, bevor neue Passagiere an Bord gehen.

Sechs Katamarane von Thames Clippers fahren mit je zwei Reman-Motoren der mtu-Baureihe 2000. Die Motoren haben eine Leistung von je 900 Kilowatt.

Nach etwa 20 Minuten legt die Monsoon wieder ab in Richtung London Eye, zum anderen Ende der Route. Das Schiff beschleunigt so schnell, dass sich die Passagiere im Heck freiwillig hinsetzen. Denn die Motoren haben eine Leistung von 900 Kilowatt und beschleunigen damit den Katamaran auf bis zu 29 Knoten (54 Stundenkilometer). Für die Motoren ist das ständige Beschleunigen und Abbremsen zwischen den Haltestellen die größte Belastung. „Deshalb ist es sehr wichtig, dass wir die Motoren morgens und abends durchchecken“, sagt Sean Collins. Kleinere Wartungsarbeiten wie Öl- oder Filterwechsel erledigen die Monteure von Thames Clippers selbst. Für die größeren Wartungsarbeiten hat die Reederei einen Vertrag mit MTU UK abgeschlossen, der britischen mtu-Tochterfirma. Zum Wartungsvertrag gehören das Wechseln der Injektoren, Turbolader oder Kraftstoffpumpen, wenn ein Motor die Hälfte seiner Laufzeit erreicht hat. Außerdem checken mtu-Monteure die Motoren regelmäßig in den ersten zwölf Monaten durch.

Am Londoner Bahnhof Paddington Station fahren die Hochgeschwindigkeitszüge der Great Western Railway ein. Die Züge sind mit Reman-Motoren der mtu-Baureihe 4000 ausgestattet.

Hochgeschwindigkeitszüge mit mtu


„Von welcher Haltestelle komme ich denn am schnellsten zur Paddington Station?“, fragt ein älterer Mann mit Goldrandbrille, kariertem Hemd und kurzen Hosen. „Am besten gehen Sie am Embankment Pier von Bord“, antwortet ein Matrose, der auf dem Weg zur Kommandobrücke ist. Von dort gibt es einen direkten U-Bahn-Anschluss zum großen Bahnhof Paddington Station, den Agatha Christie mit ihrem Roman „16 Uhr 50 ab Paddington“ weltberühmt machte. Auf den Gleisen eins bis fünf fahren hier Hochgeschwindigkeitszüge der britischen Eisenbahngesellschaft Great Western Railway aus dem Südwesten Englands ein. Auch Great Western Railway hat seit 2007 einen Wartungsvertrag mit mtu für ihre Class 43-Züge. Diese fahren mit Reman-Motoren der Baureihe 4000. Mit einer Leistung von 1.680 Kilowatt je Motor sind die Züge bis zu 200 Stundenkilometer schnell. Der Antrieb der insgesamt 119 Züge ist diesel-elektrisch und manche von ihnen legen am Tag eine Strecke von London bis nach Penzance, in den südlichsten Zipfel der Insel, zurück. Dank der mtu-Motoren der Baureihe 4000 haben die Hochgeschwindigkeitszüge eine Verfügbarkeit von 99 Prozent und sind täglich bis zu 17 Stunden unterwegs.

Ein besonderer Blickfang während der Schifffahrt ist wegen seines Aussehens das Hochhaus The Shard (engl. Glasscherbe).

Hochbetrieb für Thames Clippers
Nachdem am Bankside Pier ein paar Passagiere das Schiff verlassen haben und neue dazu gestiegen sind, legt der Katamaran wieder ab. Bankside Pier ist die vorletzte Haltestelle nach 45 Minuten Fahrt auf der Route RB1. Auf dieser Hauptroute fahren jährlich 1,6 Millionen Passagiere und insgesamt sind es auf allen Routen der Thames Clippers 3,5 Millionen Fahrgäste im Jahr. „Im Sommer transportieren wir die meisten Fahrgäste oder wenn mal wieder die Jubilee Line der U-Bahn streikt – dann ist bei uns Hochkonjunktur“, sagt Sean Collins. Vor allem die Zahl der Touristen unter den Fahrgästen habe in den vergangenen Jahren stark zugenommen. Als im Jahr 2012 die Olympischen Spiele in London stattfanden, hatten die Katamarane von Thames Clippers noch mehr Passagiere als sonst. Das war auch eine Bewährungsprobe für den mtu-Service. „Für den Ernstfall hat uns MTU UK vorausschauend wichtige Ersatzteile und einen Reman-Motor als Reserve zugeschickt“, erzählt Sean Collins. Als dann während dieser hektischen Zeit tatsächlich Probleme an einem Motor auftraten, haben die Arbeiter von Thames Clippers an nur einem Tag den Motor aus- und den Ersatz-Reman-Motor eingebaut. Später stellten die Monteure fest, dass nur ein Verschleißteil am Motorausfall schuld gewesen war.

Während der Fahrt sieht man unter anderem das kuriose Hochhaus in der Fenchurch Street, genannt Walkie-Talkie.

Als die Monsoon an der Station London Eye beim großen Riesenrad anlegt, ist die Fahrt fast zu Ende. Das letzte Highlight der Route ist hier für die Touristen der Blick auf den Westminster-Palast mit dem weltberühmten Big Ben. Für Sean Collins ist der Anblick der Turmuhr nichts Besonderes mehr, doch die begeisterten Fahrgäste knipsen noch ein paar Fotos, bevor der Katamaran an der Endstation Embankment anlegt. Für die Crew gibt es dort nur eine kurze Verschnaufpause. Dann startet das Wassertaxi seine nächste Fahrt zu Londons berühmten Sehenswürdigkeiten an der Themse.

Was ist Remanufacturing?

Beim Remanufacturing, zu Deutsch Grunderneuerung, werden Motoren und Komponenten nach einem standardisierten industriellen Verfahren wiederhergestellt, damit sie wieder die Eigenschaften von neuwertigen Teilen oder Motoren erhalten. Das zentrale Reman-Center für mtu-Motoren ist die MTU Reman Technologies GmbH in Magdeburg. Dort entwickeln Mitarbeiter auch neue Verfahren und Prozesse zur Aufarbeitung, welche mtu für serienmäßiges Remanufacturing an allen Reman-Standorten einsetzt. Beim Reman-Prozess zerlegen Mitarbeiter zuerst den kompletten Motor und reinigen die Bauteile. Dann begutachten sie die Bauteile und entscheiden, ob sie diese aufarbeiten können oder ob ein neues Teil verwendet werden muss. Rund 80 Prozent der Motor-Bauteile können Mitarbeiter für ein zweites Motorenleben wiederherstellen. Nachdem sie die alten Bauteile aufgearbeitet und wieder zusammengebaut haben, folgen zum Schluss ein Qualitäts-Check und ein Testlauf auf dem Motorenprüfstand.

Kontakt

Andy Crabbe
Tel.:
+44 1342 335 450
E-mail:

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