Steigende Anforderungen an Turbolader
Turbolader dienen zur Leistungs- und Effizienzsteigerung. Sie nutzen die in den Motorabgasen vorhandene Energie, um mehr Sauerstoff in die Brennräume des Dieselmotors zu befördern – über eine durch die Abgase angetriebene Turbine, die mit einem Verdichter verbunden ist. Durch diese Konstruktion bedingt steht die zusätzliche Leistung jedoch immer erst bei höheren Drehzahlen, also verzögert, zur Verfügung, denn im niedrigen Drehzahlbereich reicht die Abgasmenge nicht aus, um die Turbine stark genug anzutreiben. Diesem Ärgernis hat man in der Vergangenheit versucht, mit immer komplexeren – und folglich teureren – Konstruktionen Herr zu werden: Zu den gängigen Lösungen gehören hintereinander oder abwechselnd geschaltete Turbolader und verstellbare Turbinenleitschaufeln.
Diese Technologien geraten jedoch aktuell an ihre Grenzen, weil an die Aufladung immer größere Anforderungen gestellt werden: In immer mehr Anwendungen fordern Kunden noch schnellere Beschleunigung in möglichst allen Betriebszuständen. Gleichzeitig müssen Turbolader zunehmend einen wichtigen Beitrag zur Emissionsminderung leisten: Schon während der Verbrennung soll
verhindert werden, dass Dieselpartikel und Stickoxiden entstehen. Höchste Leistungen in großen Drehzahlbereichen bei gleichzeitig geringen Emissionen – all das auf einmal kann die herkömmliche Technik kaum noch leisten.
E-Turbo schafft Quadratur des Kreises
Die Quadratur des Kreises soll nun die Elektrifizierung des Turboladers schaffen: „Bei der elektrisch unterstützten Aufladung koppeln wir einen klassischen mtu-Turbolader mit einem elektrischen Antrieb“, erklärt Joachim Thiesemann, der bei mtu die Integration des neuen Systems in den Standardturbolader verantwortet. Außen vor das Verdichterrad haben seine Kollegen dazu die eingangs beschriebenen vermeintlichen Kochtöpfe montiert. Darin befindet sich jeweils ein Permanentmagnet als Rotor der E-Maschine und die in das Gehäuse des Verdichters integrierte elektrische Wicklung. „Durch den E-Motor kann der Betriebspunkt des Turboladers von der Drehzahl des Dieselmotors nahezu entkoppelt werden“, erklärt Rudi Rappsilber, bei mtu verantwortlich für die Erprobung des neuen Systems. Starke Verzögerungen beim Leistungsaufbau sind damit Geschichte und die Aufladung kann in beinahe jedem Betriebszustand optimal erfolgen. Für Entwickler und Nutzer geht damit ein Traum in Erfüllung. Ein weiterer Clou: Die Technologie kann mit überschaubarem Aufwand auch mit bestehenden Turboladern verbunden werden. Der zusätzliche Bauraumbedarf ist gering.
Im Prüfstand checken Rappsilber und seine Kollegen ein letztes Mal die Verkabelung der Mess-Sensorik. Dann verlassen sie den Raum. Per Knopfdruck wird der Motor gestartet und nach kurzem Leerlauf das Fahrpedal bis zum Anschlag durchgetreten. Die steil emporschnellende Drehzahlkurve zaubert den Ingenieuren ein Lächeln ins Gesicht: „Der Motor beschleunigt deutlich schneller als ohne die elektrische Unterstützung“, erklärt Rappsilber. Und fügt hinzu: „Das verspricht eine deutliche Steigerung der Agilität in der späteren Anwendung.“
Ab 2021 sollen die Eigner von Schiffen, Notstromaggregaten und Landfahrzeugen in den Genuss der neuen Technologie kommen. Bis allerdings die ersten Notstromaggregate dank elektrisch unterstützter Aufladung noch schneller volle Leistung liefern, Motoryachten noch atemberaubender beschleunigen und die Motoren dabei weniger Kraftstoff verbrauchen und Emissionen ausstoßen werden, werden Thiesemann, Rappsilber und ihre Kollegen noch viele Stunden an Konstruktionstisch und Prüfstand verbringen. Zweifellos nicht selten mit einem Lächeln im Gesicht.