TECHNISCHER ARTIKEL Power Generation

Rechenzentren: mit Hilfe von Eigenerzeugung fehlende Netzkapazitäten überbrücken

Veröffentlicht am 28 Mai 2025

Authors

Dr. Patrick Roth

Marie-Louise Niggemeier

Dr. Claus Schmalzing

Flaschenhals Netzausbau – Wenn die Infrastruktur nicht mit den progressiven Ausbauplänen von Rechenzentren mithalten kann

Die Kapazität der Stromnetze ist weltweit zu einer kritischen Ressource für Rechenzentren geworden. In den USA, Irland sowie an wichtigen Standorten in Festlandeuropa und Asien, wo sich insgesamt mehr als 9.000 Rechenzentren befinden, stoßen Netzbetreiber zunehmend an ihre Grenzen, wenn es um die Bereitstellung neuer Anschlüsse mit der benötigten Leistung geht. Unzureichende Netzkapazitäten gefährden Investitionen, potenzielle Standorte werden nicht realisiert, und die Wettbewerbsfähigkeit in der AI-Entwicklung schrumpft. [1] [2]

Der steigende Strombedarf durch neue Technologien wie KI erfordert schnelle und flexible Lösungen. Während der Ausbau von Hoch- und Höchstspannungsnetzen Jahre dauert, können Rechenzentren innerhalb deutlich kürzerer Zeiträume in Betrieb gehen. Dieses Ungleichgewicht zwischen Infrastrukturentwicklung und Marktbedürfnissen stellt Betreiber weltweit vor enorme Herausforderungen. [3]

Ob in Dublin, Frankfurt oder Amsterdam – in vielen Regionen stoßen die Stromnetze bereits an ihre Grenzen. Die Abhängigkeit von einer leistungsfähigen Energieinfrastruktur macht zukunftsorientierte, skalierbare Lösungen unumgänglich, um mit der Dynamik des Marktes Schritt zu halten. [4]

Der Weg zum autarken Energiesystem – Expansionsstrategie „Eigenversorgung“

Eine Vielzahl potenzieller Energietechnologien kann flexibel und effizient zur Überbrückung der bestehenden Engpässe beitragen (Abbildung 1). Zentralisierte Lösungen bieten zwar hohe Kapazitäten, sind jedoch in Planung und Bau besonders komplex und zeitaufwendig – Zeit, die die dynamische Datacenter-Industrie oft nicht hat. Daher rücken dezentrale, modulare Ansätze in den Fokus, da sie energieintensiven Industrien wie Rechenzentren eine schnellere und deutlich flexiblere Expansionsstrategie ermöglichen.

Abbildung 1: Netzunterstützende bzw. netzautarke Lösungen für Rechenzentren

Je nach Anforderungen an Spitzenlast, Lastprofil, Flexibilität und ununterbrochene Betriebsdauer, spielen Technologien wie Gasverbrennungsmotoren und Turbinen eine zentrale Rolle. Zukünftig könnten zudem neue Technologien wie Small Modular Reactors (SMR) diese Lösungen ergänzen und weiter optimieren.

Verbrennungsmotor vs. Gasturbine: Welche Technologie passt am besten zu welcher Ausgangssituation?

Motoren und Turbinen – zwei Seiten derselben Medaille. Beide fungieren als lokale Stromerzeuger, aber wo liegen die entscheidenden Unterschiede? Gasmotoren bieten eine flexible, effiziente und wirtschaftliche Lösung für die kurzfristige Stromversorgung von Rechenzentren. Ihre hohe Modularität und ihr relativ hoher Wirkungsgrad auch im Teilllastbetrieb ermöglicht eine flexible Anpassung an unterschiedliche Energieanforderungen und fördert die Integration erneuerbarer Energien. Durch ihre Mobilität und schnelle Bereitstellung in modularen Einheiten lassen sich Investitionskosten und Risiken minimieren, während sie gleichzeitig die Resilienz der Energieversorgung stärken – ideal für den Einsatz in Peaker-Kraftwerken. Peaker-Kraftwerke, oft kurz „Peaker“ genannt, werden meist nur bei hoher Stromnachfrage eingesetzt und erreichen daher oft nur rund 1500 Vollaststunden pro Jahr. Dahingegen eignen sich Gasturbinenkraftwerke insbesondere für die konstante Grundlastversorgung und zeichnen sich dank der zusätzlichen Dampfstufe durch einen besonders hohen elektrischen Wirkungsgrad aus.

Doch wie schneiden die beiden Gassysteme „behind-the-meter“ ab? Mithilfe realer Lastprofile von Hyperscale-Rechenzentren, die eine konstante Grundlast für die IT-Infrastruktur und eine variable Lastkomponente (wie Kühlung, Beleuchtung, Lüftung, variable IT-Lasten etc.) aufweisen, wurden netzunabhängige Energiesysteme analysiert. Dabei wurden High-Speed-Gasmotoren (mtu Baureihe S4000L64FNER) mit alternativen Turbinenlösungen hinsichtlich der Total Cost of Ownership (TCO) verglichen. Die simulierten Szenarien sind in Tabelle 1 und 2 zusammengefasst.

Tabelle 1: Zusammenfassung der Parameter für die simulierten Szenarien 1-4

Vorteil Trigeneration – Die Nutzung von Strom und Abwärme in Kombination mit einer Absorptionskältemaschine reduziert die Energie-Gestehungskosten deutlich

Werfen wir zunächst einen Blick auf die Ergebnisse der Energiesystem-Simulationen für die USA. Dabei zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen Motoren- (Szenario 1) und Combined-Cycle-Gasturbinenlösungen (CCGT, Szenario 2). Erstere sind hinsichtlich der Gesamtbetriebskosten (TCO) um 15 % kostengünstiger (Abbildung 2). Dies liegt vor allem an den günstigen Gaspreisen in den USA, wodurch die Investitionskosten (CAPEX) einen erheblichen Einfluss auf die TCO haben. Zwar zeichnen sich CCGT-Anlagen durch niedrigere Betriebskosten (OPEX) aus, jedoch werden diese Vorteile häufig durch die höheren Investitionskosten aufgehoben.

Abbildung 2: Ergebnis der Energiesystem-Simulation für ein 100 MW Hyperscale Datencenter für den Standort USA

Neben dem dargestellten Kostenvorteil bieten Motorenlösungen weitere entscheidende Vorteile. Ein zentraler Vorteil gegenüber Turbinen ist das flexible Anfahrverhalten: Motoren erreichen in wenigen Sekunden bis Minuten ihre Volllast, während Turbinen deutlich länger brauchen. Zudem müssen Motoren nicht überdimensioniert werden, um auch bei hohen Temperaturen effizient zu arbeiten – ein häufiges Problem bei Turbinen, die oft extra ausgelegt werden müssen, um Leistungsverluste zu vermeiden. Dank ihrer Modularität und Vielseitigkeit arbeiten Motorsysteme auch bei variierenden Lasten sehr effizient, was besonders bei den typischen Teillastbedingungen in Rechenzentren von Vorteil ist. Das modulare Design sorgt außerdem für höhere Redundanz und Verfügbarkeit, was für die Zuverlässigkeit von Rechenzentren essenziell ist.

Ferner ist auch ihre Mobilität ein großer Pluspunkt: Nach einem Netzausbau können Motorenkraftwerke problemlos an einen anderen Standort, beispielsweise zu einem neuen Rechenzentrum, verlegt werden.

Schließlich bietet die motorbasierte, netzunabhängige Energieversorgung einen entscheidenden Vorteil gegenüber Turbinenlösungen: Fällt eine einzelne Gasturbine aus, kann dies bis zu 50 % der Gesamtleistung beeinträchtigen – der Ausfall eines einzelnen Gasmotors in einem modularen Mehrmotoren-Setup hingegen reduziert die Leistung dagegen nur um 2,5 %. Dadurch bleibt die Versorgungssicherheit auch im Ernstfall bei Einzelmodulausfällen gewährleistet.

Besonders für Rechenzentren bietet sich zusätzlich für Gassysteme die Möglichkeit, die Abwärme der Stromerzeugung zu nutzen, um den Energiebedarf für die Kühlung durch Absorptionskältemaschinen deutlich zu reduzieren. Dies führt zu signifikanten Kosteneinsparungen von bis zu 22 % bei Motorenlösungen (Szenario 3) und zu einer 13 % Ersparnis für Turbinenkraftwerke (Szenario 4), wenn die Abwärme nicht etwa für die Dampfstufe, sondern für die Trigeneration genutzt wird. Der Vorteil von Motorenlösungen gegenüber Open-Cycle-Gasturbinen (OCGTs) ergibt sich aus ihrem höheren elektrischen und thermischen Wirkungsgrad sowie den geringeren Investitionskosten. Darüber hinaus bieten sie logistische Vorteile, wie kürzere Lieferzeiten und einen einfacheren Transport, was sie besonders attraktiv für Projekte mit kurzen Realisierungszeiten macht.

Da sich der europäische Markt signifikant von dem der Vereinigten Staaten unterscheidet – insbesondere aufgrund der im Jahr 2024 durchschnittlich fünfmal höheren Gaspreise (ähnlich wie in Südostasien und dem Nahen Osten) – haben wir zusätzlich Simulationen für ein europäisches Hyperscale-Rechenzentrum durchgeführt (Tabelle 2).

Tabelle 2: Zusammenfassung der Parameter für die simulierten Szenarien 5-8

Diese Preisstruktur beeinflusst die TCO von Gasanlagen erheblich und führt zu einer veränderten Bewertung verschiedener Technologien (Abbildung 3). In Europa dominieren die Kraftstoffkosten die Betriebskosten in allen Szenarien, wodurch CCGT-Lösungen im Vergleich zu Motorenkraftwerken leicht im Vorteil sind (Szenarien 5 und 6). Insbesondere für Betreiber, die sich ausschließlich auf die Stromerzeugung konzentrieren, wird der elektrische Wirkungsgrad des Gassystems zur entscheidenden Kenngröße.

Abbildung 3: Ergebnis der Energiesystem-Simulation für ein 100 MW Hyperscale Datacenter für den Standort Europa.

Eine weiterführende Analyse zeigt, dass der Übergang von einem rein elektrisch betriebenen System zu einer energieoptimierten Gesamtlösung, wie dem Trigenerations-Ansatz, auch in Europa Einsparpotenziale ermöglichen kann. Mit Motorenlösungen lassen sich im Vergleich zum CCGT-Szenario Kostensenkungen von bis zu 8 % erzielen (Szenario 7). Der Ersatz von CCGTs durch OCGTs (Szenario 8) führt aufgrund des niedrigeren elektrischen Wirkungsgrads – trotz der Nutzung von Abwärme, beispielsweise zur Kühlung – zu insgesamt 10 % höheren TCO, was, wie bereits erwähnt, vor allem auf die höheren Kraftstoffkosten zurückzuführen ist. Diese Ergebnisse verdeutlichen, dass eine ganzheitliche, energieoptimierte Strategie auch in Europa erhebliches Einsparpotenzial bietet und Motorenlösungen eine wirtschaftlich attraktive Alternative zu CCGT-Anlagen darstellen.

Warum Verbrennungstechnologie auch in Zukunft eine attraktive Lösung für viele Rechenzentren sein wird

Gasmotorenkraftwerke sind also lukrative Lösungen, wenn es um die Eigenversorgung geht. Aber wie sieht es mit dem Thema Nachhaltigkeit aus? Abbildung 4 zeigt verschiedene Dekarbonisierungspfade, die bereits heute offenstehen. Aktuell sind nachhaltige Kraftstoffe wie Biogas und Biomethan für Gas-Dauerläufer verfügbar und bieten eine umweltfreundliche Lösung.

In der Entwicklung und kurz vor der Industrialisierung befinden sich Carbon-Capture-Lösungen zur Abgasnachbehandlung. Diese Technologien ermöglichen eine CO2-Rückgewinnung von bis zu 90 % aus Abgasströmen, die entweder zur Sequestrierung oder zur Wiederverwertung in der E-Fuel-Synthese genutzt werden können. CO₂-Abscheidungstechnologie eignet sich besonders gut für kontinuierliche, netzunabhängige Anwendungen, da hohe Laufzeiten planbare und stabile Einnahmen aus dem Verkauf des abgeschiedenen CO₂ ermöglichen – was zu einer schnelleren Amortisation solcher Systeme führt. Obwohl bislang meist projektspezifische Anlagen gebaut wurden, ist eine breite Industrialisierung bis Anfang der 2030er Jahre zu erwarten, was zu Kostensenkungen und Effizienzsteigerungen führen wird.

In Zukunft könnten grüner Wasserstoff und E-Fuels wie E-Methan Gaskraftwerken eine emissionsfreie Energiequelle bieten. Die Koexistenz verschiedener Dekarbonisierungs-Lösungen eröffnet Betreibern von Gassystemen erhebliche Flexibilität und macht die Investition in Gasanlagen zu einer nachhaltigen und zukunftsfähigen Strategie für die Eigenbedarfsdeckung.

Abbildung 4: Heute und künftig verfügbare Dekarbonisierungs-Möglichkeiten für Verbrennungsmotoren und Gasturbinen.

Eigenerzeugung als strategischer Schlüssel: Überbrückung von Netzausbauproblemen und langfristige Potenziale für Kostenoptimierung und neue Erlösquellen

Auch wenn die Investition in Eigenerzeugung auf den ersten Blick wie ein Risiko für Sunk Costs erscheinen mag, da sie primär zur Überbrückung eines temporären Netzausbauproblems dient, eröffnet sie langfristig weitreichende Potenziale, insbesondere dann, wenn es sich um mobile Lösungen wie containerisierte Gas-Systeme handelt. Eigene Erzeugungsanlagen können sich als strategischer Baustein etablieren, um Geschäftsmodelle zu erweitern und neue Erlösquellen zu erschließen, z.B. durch die Bereitstellung der Reservekapazität für netzdienliche Systemdienstleistungen oder Kapazitätsmärkte. Darüber hinaus können Nebenprodukte wie Abwärme und aufbereitetes CO2 für eine zusätzliche Vermarktung an Nahwärmenetze bzw. an die Lebensmittelindustrie nutzbar gemacht werden. Sobald die Netzausbauproblematik gelöst ist, können diese Anlagen weiterhin Strom in das Netz der öffentlichen Versorgung einspeisen. Dies erlaubt eine kontinuierliche Optimierung der Energiekosten gegenüber Marktpreisen – sei es durch die Deckung des Eigenbedarfs oder die Vermarktung von Überschüssen in Hochpreisphasen. Eigenerzeugung steigert somit nicht nur die Resilienz des Betriebs, sondern stärkt auch nachhaltig die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit.

Kontaktieren Sie uns gerne, wenn Sie mehr über unsere Energielösungen erfahren wollen

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microgrid-solutions@ps.rolls-royce.com

Referenzen

[1]„Rechenzentrumsboom: So meistern Sie die Stromkrise,“ 1 April 2024. [Online]. Available: https://www.janushenderson.com/de-de/investor/article/data-center-boom-navigating-the-power-crunch.

[2]"Stromhungrige KI-Anwendungen erfordern einen deutlichen Ausbau der globalen Energiekapazität," 11 Juni 2024. [Online]. Available: https://www.schroders.com/de-de/de/finanzberater/insights/stromhungrige-ki-anwendungen-erfordern-einen-deutlichen-ausbau-der-globalen-energiekapazitaet.

[3]"Blase, Boom, Risiken - das Datacenter-Deutschland aus Sicht der Geldgeber," 29 November 2024. [Online]. Available: https://www.datacenter-insider.de/blase-boom-risiken-das-datacenter-deutschland-aus-sicht-der-geldgeber-a-7b892bc81b58d4da051b52ea8f66b163.

[4]"Trend bei Rechenzentren: Asien boomt dank KI, Herausforderungen bei der Stromversorgung," 2 Oktober 2024. [Online]. Available: https://www.hardwarewartung.com/trend-bei-rechenzentren-asien-boomt-dank-ki-herausforderungen-bei-der-stromversorgung.

[5]"Spot Henry Hub natural gas prices hit a historic low in 2024," 8 Januar 2025. [Online]. Available: https://www.eia.gov/todayinenergy/detail.php?id=64184#:~:text=In%202024%2C%20the%20U.S.%20benchmark,inflation%2Dadjusted%20dollars%20ever%20reported..

[6]"EU Natural Gas TTF," 16 Januar 2025. [Online]. Available: https://tradingeconomics.com/commodity/eu-natural-gas.